Früh morgens aufstehen, die gepackten Taschen schnappen und dann schlafend in Zug und Bus die 28 Meilen zum Sommerhaus an der Ostseeküste zurücklegen. Auf dem niedrigen Dachboden des Hauses sein Lager aufschlagen, weil die Zimmer schon vom Rest der Familie belegt sind. Zeitgefühl verlieren. Barfuß zweihundert Meter durch den regennassen Wald zum Anlegesteg gehen. Von diesem in die eigentlich noch zu kalte Ostsee springen. In die Heidelbeeren gehen. Fotografieren. Neun Ausgaben der ZEIT durchsehen, viel davon ungelesen wegwerfen. Gesellschaftsspiele spielen, während es draußen in Strömen regnet. Von jeglicher Information über die Außenwelt abgeschnitten sein. Auf der Suche nach dem besten fotografischen Winkel abrutschen und sich die Wade aufschürfen. Anderen dabei zusehen, wie sie den Garten auf Vordermann bringen. Pfifferlinge sammeln, dabei seine Füße den Angriffen von wildgewordenen Ameisen aussetzen. Das winzige Segelboot zum Wasser tragen und zusehen, wie es freudig gegen den Wind gesteuert wird. Fotografieren. Kanelbullar backen. Regenwasser aus dem Boot schippen, den Benzintank anschließen und den Motor starten. Einen kleinen Ausflug mit Picknick auf eine der hunderten Inseln machen. Dort auf den Klippen in der Sonne liegen, nachdem man aus dem Wasser kommt. Verpflichtungen vergessen. Am Laptop in Ruhe Bilder aussortieren und nachbearbeiten. Früh morgens im Kajak auf der blanken Ostsee die Stille genießen. Fotografieren, während der Hintermann weiterpaddelt. Gemeinsame Fika und Abendessen. Sich von Mücken und Zecken piesacken lassen und nichts dabei finden. Den Schweden “Siedler von Catan” beibringen und sie durch die harte Verhandlungstaktik unfreiwillig ans eigene Deutschsein erinnern. Auf der faulen Haut liegen. Beim Grillen vom Platzregen überrascht werden und sich über den Deckel des Grills freuen. Fotografieren. Kaffeetrinken im Garten und dabei vor den Mauerseglern in Deckung gehen, die unter dem Dachvorsprung hervorkommen. Aus dem Augenwinkel noch den Fasan sehen, der den Garten dann doch nicht mehr so gut findet, als er uns erblickt. Durch Wald und Dorf spazierengehen und die Walderdbeeren vom Wegesrand naschen. Kubb spielen und verlieren. Heimfahren, bis zum nächsten Mal.
Man nehme eine Bühne im Skansen, dem Freilichtmuseum mitten in Stockholm. Darauf lasse man an -Donnerstagen- Dienstagen im Sommer, jedes Jahr, schwedische Prominenz singen und kalauern. Dazwischen lasse man den Showmaster gemeinsam mit dem Publikum Lieder anstimmen und übertrage das Ganze live im Fernsehen. Voilà Allsång på Skansen.
Ich hatte mir fest vorgenommen, etwas darüber zu schreiben, muss aber feststellen, dass ich eigentlich unqualifiziert bin, denn ich habe diese Veranstaltung bisher weder “in echt” noch im Fernsehen gesehen. Wikipedia-Artikel und kurze Ausschnitte auf YouTube, die wahrscheinlich nur die Perlen beinhalten, reichen nicht.
Was mich bisher abgehalten hat, eine Sendung des Allsång anzusehen, ist zuallererst, dass ich den Fernseher seit Jahr und Tag nicht mehr eingeschaltet habe. Und dann natürlich noch die Befürchtung, dass The Local recht hat, wenn er schreibt:
Das Ganze trieft dermaßen vor kuscheliger Nettigkeit, dass es bei gewissen Personen Tobsuchtsanfälle auslösen kann.
(Übersetzung von mir)
Alleine die Tatsache, dass ein knappes Viertel aller Schweden (!) dieses Spektakel im Fernsehen verfolgt, sollte wohl trotzdem genug Anlass für mich sein. Schließlich lernt man dabei sicher noch etwas über die Leute, mit denen man im selben Land lebt. Empfehlungen oder Warnungen irgendwer?
Nachtrag, 070702: Der SR schreibt heute auch darüber.
([YouTube Direktlink](http://youtube.com/watch?v=065xbNcxK2Q), [*Caesars (Palace)* bei Wikipedia](http://de.wikipedia.org/wiki/Caesars))
Eine kleine Auswahl an Nachrichten der letzten Woche.
Was tut eine Regierung, wenn – wegen der eigenen Reformen, die die Beiträge für die Arbeitslosenversicherung erhöht und die Auszahlungen gesenkt haben – plötzlich weniger Leute Mitglied der A-Kassen sind? Man schlägt vor, die Mitgliedschaft zur Pflicht zu machen, anstatt die eigene Politik zu überdenken.
Hier in Uppsala ist gerade die schwedische Radfahrmeisterschaft. Durch Zufall bin ich vorhin einen Teil der Strecke geradelt, aber keiner der Wartenden feuerte mich an.
Fiket legt einmal wieder eine Pause ein. Ich fahre an einen Ort ohne Internet und habe es mir verkneifen können, doch noch schnell eine UMTS-Flatrate fürs Laptop zu holen, die man hierzulande für knapp hundert Kronen pro Monat (plus Modem) bekommt.
Deshalb geht es hier erst in einer guten Woche weiter, dann auch mit frischen Bildern. Meine Kamera ist nämlich endlich aus der Reparatur zurück. Die Kommentarfunktion steht derweil auf “moderiert”. Das heißt, dass man weiterhin gern Kommentare abgeben kann, diese aber erst freigeschaltet werden, wenn ich zurück bin.
Schönen Sommer wünsche ich allen.
Nachtrag, 070629: Ich bin wieder da und alle Kommentare aus der letzten Woche sollten freigeschaltet sein.
Interessantes zu Chefs in Deutschland und Schweden:
Über 80 Prozent der Arbeitnehmer erwarten [in Deutschland] von ihren Chefs Entschlusskraft, Durchsetzungsstärke und Souveränität. Jeder Zweite will klaren Vorgaben folgen können. Vorgesetzte sollen außerdem Wert auf Wettbewerb und Leistung legen. Nicht so in Schweden. Dort mag nur jeder Sechste von seinem Chef genaue Anweisungen erhalten. Genauso wenige Mitarbeiter betrachten es im Gegensatz zu jedem zweiten deutschen Kollegen als positiv, wenn sich ihr Vorgesetzter nicht von abweichenden Vorstellungen oder äußeren Veränderungen beeinflussen lässt.
Ich habe wenig Einblick in die außeruniversitäre Arbeitswelt in Schweden, aber was hinter obigem Link geschrieben steht, klingt keinesfalls abwegig. Nicht kritikfähige Menschen gehören verboten.
Es ist kein guter Tag für die bürgerliche Regierung Schwedens. Neben dem Skandal um Littorin hat jetzt noch der Staatsanwalt bekannt gegeben, dass er eine Voruntersuchung gegen das Blog des Außenministers Carl Bildt einleitet, weil er die Vorwürfe eines anderen Bloggers für gerechtfertigt hält.
Es geht darum, dass Bildt bis heute volksverhetzende Kommentare auf seinem Blog stehen lässt.
Nachtrag: Bildt kommentiert die Sache in seinem Blog und erklärt, es seien Wohl einige übersehen worden, als in letzter Zeit die 13.000 Kommentare durchgegangen wurden. Es sei vor allem ein Kommentator übersehen worden und dass man andere gelöscht habe, zeige ja die gute Absicht. Alle Kommentare, auf die heute hingewiesen wurde, seinen entfernt worden. Ich mag mich täuschen, aber das klingt nach einer Ausrede. Die fraglichen Kommentare wurden ihm im April sogar in einem Radiointerview unter die Nase gehalten und der anklagende Blogger hat sie zigfach rezitiert und verlinkt. Einer davon steht auch jetzt noch da.
Ein kurzer Nachtrag zu Arbeitsminister Littorin und seinem wertlosen Examen: Entgegen früherer Aussagen, nach denen er keinen Grund sehe, den “Master” aus seinem Lebenslauf auf den Webseiten der schwedischen Regierung zu entfernen, hat er ebendies jetzt doch getan.
Dass er lieber eine Debatte hätte, “die sich mit aktuellen Dingen beschäftigt anstatt damit, was vor zehn Jahren war”, kann man verstehen, schließlich hat er damit indirekt zugegeben, dass es kein “echter” Abschluss war. Man hat auch bei der Universität in Lund nachgefragt und herausgefunden, dass Littorin mit 115 Studienpunkten nicht einmal sein Kandidatexamen (entspricht einem Bachelor) fertig hatte, das eigentlich Voraussetzung für einen Master ist.
Meine Meinung: Das Ganze ist ein triftiger Rücktrittsgrund, gerade weil er sich als Arbeitsmarktminister nur noch sehr unglaubwürdig gegen Betrügereien bei Abschlüssen einsetzen kann.